Terminservice- und Vorsorgegesetz

Herr Jens Spahn, Gesundheitsminister, hat das Terminservice-und-versorgungsgesetz in erster Lesung vorgestellt. Es klingt immer gut, wenn man die Warteschlangen der Patienten verkürzen will, aber es gibt da ein paar kleine Probleme, die ich hier mal laut schreiben will, damit man sie nicht mit den Patienten diskutieren muß.

Arzthelferinnen lernen über 3 Jahre. Patientenmanagement, also die Einordnung von Patienten in dringend, normal und Fehlzuweisung ist dabei eine ihrer Kernkompetenzen. Die Zeit, die ein Arzt sich den Patienten zuwendet, ist eine der gefragtesten Ressourcen, begrenzt und bedarf daher der Planung und des Managements.

Aktueller Status: Mein Terminkalender als Orthopädischer Rheumatologe ist mit 1200 Rheumatikern in Dauerbehandlung + 400 rein orthopädische Patienten wohlgefüllt. Die Wartezeit von 3 Monaten entspricht recht genau der Spanne, in der ich die Patienten sehen muss, um die Medikamentenverordnungen (und Physiotherapie, klinische, Kontrolle, Labor, Gespräche…) einmal im Quartal zu leisten. Mehr als ein Quartal im Voraus darf ich nicht auf einmal verordnen und der Gesetzgeber fände es weniger amüsant, wenn 2800 Packungen Biologika mit 4-5000 €/Packung im Quartal (= 14 Millionen Budgetüberziehung) ohne Arztkontakt rausgehen.

Urlaubsplanung ist da schwierig, Krank werden darf man auch nicht. Neue Patienten gibt es durch das Notfallverfahren mit Hausärzten und durch die KV-Terminservicestelle. Bezahlung für die Terminservicestelle? Wie viele Spezialisten haben wir eine anerkannte Praxisbesonderheit, bekommen also bei Rheumatikern keine Abzüge wegen „zuviel Patienten“. Der Köder „Was von Terminservicestelle kommt, unterliegt nicht den Beschränkungen des Regelleistungsvolumens“ ist daher ein trauriger Witz. Wenn es Rheuma ist, unterliegt es sowieso nicht den Beschränkungen. Wenn es kein Rheuma ist, bekomme ich die Fehlzuweisung voll bezahlt. Die Terminservicestelle fördert also in der Konsequenz die falschen Patienten.

Wenn die Kollegen Hausärzte gute Gründe für eine Zuweisung haben, bekommen sie schnell (unter einer Woche)Termine. Fax mit Unterlagen reicht. Nach meiner Erfahrung sind 70% der vom Hausarzt als dringend mit Unterlagen zugewiesenen Patienten wirklich dringend behandlungsbedürftig (gute Quote). Zuweisungen von Fachärzten (Orthopäden, Dermatologen, Augenärzte, nichtrheumatologische Internisten) sind fast immer Treffer. Über die Terminservicestelle kommen 20 % sinnvolle Zuweisungen, meist ohne Unterlagen. Bei den Selbstzuweisern liegen um 5% der sich auf Rheuma verdächtigenden richtig.

Ein Ausbau der Terminservicestelle fördert also die niederqualifizierte Zuweisung, die wir eben nicht haben. Wenn der Hausarzt für die Terminvermittlung zum Facharzt Geld bekommt, nimmt das noch zu. Förderungswürdig ist die qualifizierte Zuweisung, wie es Projekte wie Rheuma-Vor zeigen. Hier bekommt der Hausarzt sein Geld für Treffer und die Anfrage wird nur mit Begleitinformationen bearbeitet. Der Hausarzt kann gern Geld bekommen, wenn er den Patienten mit seinen vorhandenen Unterlagen anmeldet, damit wenigstens die Telefoniererei zum Vorbefunde suchen aufhört. Ob der Verdacht richtig ist, wäre mir egal. Begründet muss ein Verdacht sein.

Der derzeitige Stand, wo gelegentlich Patienten über die Terminservicestelle ohne Unterlagen und ohne jegliche Dringlichkeit kommen, weil sie 50 € für die IGEL-Leistung „Drängelcode“ gezahlt haben, ist wirklich Zweiklassenmedizin.

Zur offenen Sprechstunde: 5 Stunden mehr müssen irgendwoher kommen. Natürlich können wir anstelle von 36 Stunden Sprechstunde jetzt 41 Stunden öffnen. Ärzte sind manchmal so obrigkeitshörig und altruistsch. Ich glaube nicht, dass das mit den Gewerkschaften der Medizinischen Fachangestellten abgeklärt ist. Frau Nahles und Herr Sozialminister Heil würden die Arbeitszeitverlängerung auch nicht lustig finden.

Also müssen wir zur Einhaltung des Gesetzes 5 Stunden aus dem aktuellen Terminkalender reservieren und damit 1/7 der Bestandspatienten rein rechnerisch zur Suche nach einem neuen Arzt auffordern.

Dafür habe ich dann eine offene Sprechstunde. Ich habe keine Angst vorm rumsitzen. Planen und Dringlichkeiten sortieren soll ich nicht. Also kommt dran, wer in der Stunde danach fragt. Das wären dann etwa ein Patient pro Minute, also 60 Patienten. (Der Schätzung liege die Nachfrage zugrunde, die unsere Telefonanlage in Spitzenzeiten an Anrufen von verschiedenen Nummern hat). Klingt nett, geht aber auch wieder nicht.

In der Realität werde ich zwanzig Minuten vor Praxisbeginn eine Liste mit 5 Behandlungsplätzen für den laufenden Tag auslegen und nach einer Minute gefüllt wieder einsammeln. Man sollte die Anmelder dieser Liste zeitlich und räumlich von den geplanten Patienten trennen. Ab dem sechsten Patienten, der dann nicht mehr berücksichtigt wird, gibt es Mißmutsbekundungen, üble Schimpfereien, Beleidigungen und gelegentliche Gewaltausbrüche. Das kann ich im Rahmen meiner Fürsorgepflicht weder meinen Mitarbeiterinnen noch den anderen Patienten zumuten. Also mache ich es selbst oder betraue einen Wach- und Schließdienst mit dem Job.

Die Patienten, die keinen Termin bekommen haben, stehen am nächsten Tag etwas früher da. In der räumlich getrennten Schlange kann man sich leicht ausrechnen, wenn man wieder nicht dran ist. Ich kenne eine derartige Logistik aus meinem Elternhaus in der DDR. Es gab vormittags 24 offene Plätze, die Liste war innerhalb von zehn Minuten voll. Wenn ich als Jugendlicher nachts um zwei nach Hause kam, ging irgendwo eine Autotür auf und jemand sagte „Du bist die Elf. Pass auf und sag dem nächsten Bescheid!“, manchmal auch „Ich bin die Vierundzwanzig. Morgen eher aufstehen!“ Gelegentlich gab es Patienten, die zum Feierabend das warme Wartezimmer verließen, um draußen auf die Liste des nächsten Tages weiterzuwarten wie bei einer Premiere vom Iphone oder Starwars. Es gab auch ein paar Geschäftstüchtige, die sich – nicht umsonst – für andere anstellten. Benachteiligt wurden die schwerer Kranken, die keine Nacht im Freien durchstehen.

Die Liste hatte freilich den Vorteil, dass kein Patient wegen Bagatellen in der Sprechstunde auftauchte. Auch Patienten ohne Unterlagen waren selten, niemand möchte zweimal stehen, weil er schlecht vorbereitet kommt. Es ist trotzdem kein wünschenswerter Zustand.

Dieser Unfug – planlose Schlange mit allen ihren Nebenwirkungen – steht uns bevor, wenn wir eine offene Sprechstunde einrichten müssen, anstatt uns und die ferne Berliner Regierung damit zu beschäftigen, wie wir

    • die Zuweiserqualität erhöhen können, also schon vom Hausarzt die Schwerkranken früher und die Wanderpatienten garnicht zugewiesen bekommen.
    • dabei dem Zuweiser Kommunikationskanäle zur Verfügung stellen, in denen er seine Informationen einfach, strukturiert und zügig loswird.
  • die Budgets abgeschafft werden. Problem: die einfachen, ausdiagnostizierten, stabilen Behandlungsfälle verstopfen die Praxen mit ihrem berechtigten Wunsch nach Wiederholungsrezepten. Warum soll der Hausarzt nicht auch die regelmäßige Physiotherapie aufschreiben oder der Facharzt  die anderen Medikamente mitverordnen. Das spart Zeit für alle. In den stabilen Dauerpatienten stecken riesige Zeitreserven für die Ärzte. Physiotherapie wird derzeit in ihrem Wachstum von der Behandlungskapazität der Leistungserbringer begrenzt, nicht vom Budget. Das Heilmittelbudget ist sinnlos geworden.

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